Mit ordentlich Bauchgefühl – Schöffen

Im Spiegel gibt es seit einiger Zeit eine Serie, in der ein Volontär über seine Erfahrungen als Schöffe berichtet. In der heutigen Folge geht es um die direkte Ansprache der Schöffen durch die Verteidigung.

“Zweiter Sitzungstag im Prozess gegen einen mutmaßlichen Drogenkurier, Schlussplädoyer der Verteidigung. Der Anwalt des Angeklagten erhebt sich, richtet seinen Blick gen Richterbank – erst auf mich, dann auf die andere Schöffin. “Stellen Sie sich mal vor, Ihr Vater fordert Sie morgen früh um 9 Uhr auf, sofort das Land zu verlassen”, sagt er. Mein erster Gedanke: Hä?”

(Quelle: www.spiegel.de)

Genau. Hä. Was das soll, erklärt uns der Autor einige Zeilen später.

“Die Frage des Verteidigers zielte wohl auf das Mitgefühl von uns Schöffen, weniger auf den juristischen Sachverstand der beiden Berufsrichter im Saal. Denn die kannten detailliert die Rechtslage und sämtliche Akten des Falls – ganz im Gegensatz zu den Laienrichtern. Womöglich ist das Kalkül vieler Verteidiger also: Die Richter in Robe mit Paragrafen und wohlformulierten Argumenten überzeugen, die Richter ohne Robe gerne auch mit Suggestivfragen und Emotionen. Denn die sollen ja sowieso mit einer gehörigen Portion Bauchgefühl ihr Urteil fällen.”

(Quelle: www.spiegel.de)

 

Ich finde ja Hirn beim Fällen eines Urteils in einer Strafsache wesentlich sinnvoller als Bauch. Wenn ich mir Kommentare in der Presse zu dem Verfahren um Sebastian Edathy oder zu anderen Verfahren ansehe, dann macht mir Bauchgefühl etwas Angst.

Die Bedeutung der Schöffen ist schon vielfach diskutiert worden. Es mag nur eine böse Vermutung von mir sein, doch die meisten Vorsitzenden haben ihre Schöffen meines Erachtens “im Griff”.

GiftIn den letzten zehn Verhandlungen, an denen Schöffen beteiligt waren, sind durch die Schöffen zwei Fragen gestellt worden.

Ich bezweifele, dass im Beratungszimmer dann die Schöffen den Vorsitzenden (“So, machen wir ein Jahr auf Bewährung, oder?!”) wortgewaltig überstimmt haben.

Es wird sicher sehr engagierte Schöffen geben, die viele Fragen stellen und mit den Berufsrichtern diskutieren, die Regel dürfte dies aber nicht sein.

 

8 Gedanken zu „Mit ordentlich Bauchgefühl – Schöffen

  1. Ich hatte einmal einen Mandanten, der später als Schöffe beim Landgericht berufen wurde. Ich hatte Mitleid mit der Kammer. ;-)

  2. Ich war 4 Jahre lang Schöffe. Ich hatte in mehreren Verfahren Vorsitzende, die gerne das Fragerecht des Schöffen übergehen wollten. Einleitungen im Beratungszimmer, der Fall sei klar, daß und das Ergebnis sei geplant. Hinweise, ich wolle doch wohl mit einer abweichenden Meinung nicht alleine stehen. Nicht repräsentativ, für mich aber häufig erschreckend. Ein Großteil der Volljuristen schien die Schöffen eher als lästiges Übel zu sehen. Viele Schöffen waren erstaunlich leicht unter Druck zu setzen.

  3. Das Beratungsgeheimnis schützt nicht nur die Schöffen, die sich mangels Strafrechtskenntnisse den Berufsrichtern unterlegen fühlen. Denn es gibt Urteilsabstimmungen, die solange als Probe angesehen werden, bis sich die Schöffen entnervt der Vorgabe des Vorsitzenden anschließen. Denn § 196 Abs. 2 und Abs. 3 GVG ist fast allen Berufsrichtern unbekannt.

    1. Ich lese gerade das “Strafrichter Brevier”. Wenn ich beim Lesen nicht im Delirium war, kam genau der Ausdruck “seine Schöffen im Griff haben” dort vor. Das beantwortet zwar Ihre Frage nicht, aber passt trotzdem ganz hübsch.

  4. Die Berufsrichter haben die Schöffen nicht im Griff, sondern die Schöffen haben ohne eigenen Zugang zu Informationen (z.B. rechtzeitige Akteneinsicht) wenig Chancen auf Augenhöhe zu verhandeln. Diese Schwächung ist gesetzlich gewollt. Auch das Grundwissen um eigene prozessuale Rechte und das kleine Einmaleins des Richtens fehlt leider bei vielen Schöffen. Und die Hektik im Verfahren erfordert ein mächtiges Rückgrad gegenüber den Berufsrichtern, wenn man nicht nur alles Abnicken will.

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